TOR DES GEANTS 2010

„Wanderwege im Schatten mächtiger Berge, die, in absoluter Ruhe, uns erheben, um uns selber zu entdecken“ !

 

Und für diese Entdeckung hat man viel Zeit während des TOR DES GEANTS. Ganze 330 km! Immer entlang der Höhenweg Via Alta 1 und 2 zur Umrundung des gesamten Aostatals.

 

Höhenwege der Riesen und Naturschönheiten wie es so schön heißt in den farbig gedruckten Touribroschüren, aber was bedeutet es wirklich?

 

Objektiv betrachtet -

330 Kilometer, 24.000 Höhenmeter, Zeitlimit max. 150 Stunden, 25 Pässe über 2.000 m, 34 Gemeinden, 2 Nationalparks mit 32 Bergseen, 7 Basisstationen, 43 Verpflegungsstellen, 1000 freiwillige Helfer, 350 Teilnehmer aus 16 Nationen und letztendlich 179 Finisher

 

Subjektiv betrachtet –

Übermenschlich, Eindrucksvoll, Total bescheuert, Wahnsinn, Kräfte zehrend, Schmerzhaft, nicht vorstellbar und sehr laaaannnngggg!!!

330 Kilometer objektiv –

entlang den Höhenwegen der Via Alta 1 und 2 umrundet man das komplette Aostatal zu Füßen der höchsten Bergmassive Europas: Monte Rosa, Matterhorn und Mont Blanc und durchquert damit gleichzeitig auch einen großen Teil der Nationalparks Gran Paradiso und Mont Avic.

Die komplette Strecke ist sehr gut markiert (tags- wie auch nachts), zu dem kann man eigentlich blind der Via Alta Markierung folgen (gelbe Pfeile). Somit sind GPS Gerät oder Karten „nice to have“ aber nicht unbedingt nötig. Kilometerangaben auf der Strecke gibt es jedoch nicht.

 

330 Kilometer subjektiv –

schon mal so lange am Stück unterwegs gewesen? Diese Entfernung kann man sich nicht vorstellen. Und es dauert lange. Verdammt lange. Und ich bin mir irgendwie sicher, dass es sogar noch mehr Kilometer waren als ausgeschrieben. Die Teilstrecken ziehen sich. Jede gedachte Etappe dauerte um ein vielfaches länger als im Vorfeld ausgerechnet. Und man lernt wieder sehr schnell, dass man einen Italiener nicht nach Kilometern oder Laufzeiten fragen sollte. Der 1-Kilometer-Begriff ist in Italien sehr dehnbar. Dafür ist die Umgebung der absolute Hammer und die Trails ein Muss für jeden passionierten Trailrunner. Naja, mit running hat das ganze irgendwann nicht mehr schrecklich viel zu tun. Die meisten sind schon von Anfang an sehr verhalten, man muss sich ja seine Kräfte gut einteilen. Also ist vornehmlich Speed-Hiking angesagt. Ich hadere mit mir selbst, bin hin und her gerissen zwischen "ich möchte laufen" und "ich hoffe, du bereust dein Tempo später nicht". Aber da gehen immer viel länger dauert als laufen und ich jemand bin, der gern schneller ankommt - versuche ich so viel wie möglich zu laufen. 90 % der Teilnehmer hatten übrigens Stöcke dabei und ich, als eigentlicher "Stock-Hasser", habe die zwei Ersatzantriebe sehr zu schätzen gelernt.

25 Bergpässe addieren sich zu 24.000 Höhenmeter objektiv –

der Streckenverlauf führt im ständigen auf und ab über 25 Bergpässe, die alle jenseits der 2.000 m Marke liegen. Dabei stellt der Übergang am Col Lauzon (3.300 m) den höchsten Punkt des Wegverlaufs dar. Er befindet sich im Nationalpark des Gran Paradiso auf der Teilstrecke zwischen der Valsavarenche und Cogne gleich am Anfang der Strecke.

 

25 Bergpässe addieren sich zu 24.000 Höhenmeter subjektiv –

mit viel Respekt erklimmt man die ersten Höhenmeter und Pässe. Fängt an die Pässe zu zählen und erfreut sich an dem unglaublich schönen Bergpanorama. Schließlich gab uns die freundliche Dame vom Tourismusoffice bei der Pasta Party den Rat doch auf jedem Pass ein paar Minuten zu verharren und den schönen Ausblick zu genießen. Auch in der Nacht? Ausgerechnet über den höchsten Punkt der Tour musste ich mitten in der Nacht inklusive Regen- und Schneesturm. Irgendwann hört das auf - das zählen und verharren. Man weiß nicht mehr der wievielte Gipfel, Berg, Pass gerade bestiegen wird. Es wird Tag. Es wird Nacht. Es geht bergauf und es geht bergab. Es ist warm oder kalt. Mal sehr steil, technisch. Eigentlich nie flach oder einfach. Viele „falsche“ Gipfel locken mit frühzeitigem Gipfelglück und oben angekommen folgen noch etliche weitere Höhenmeter. In jedem neuen Tal oder Hochebene fragte ich mich dann irgendwann selbst voller Ironie „Und wo bist du, du Pass? Wo schicken sie uns diesmal drüber?“ Oft war es besser, wenn man das vorher gar nicht unbedingt wusste. Jen aus Canada fragte mich im Anschluss, warum wir nicht einfach Hängebrücken von einem Pass zum anderen bauen, dann müsste man nicht ständig bis ganz ins Tal absteigen, um dann von neuem ganz hoch zu kraxeln! Gute Frage.

 

Zeitlimit 150 Stunden objektiv –

in Tagen gerechnet bedeutet das, dass die 330 Kilometer im Maximalfall auf 6 Tage und 6 Stunden verteilt werden können - unter Berücksichtigung der cut-off times an bestimmten Stellen - um den Tor des Geants erfolgreich zu finishen. Das ist immer noch sehr schnell. Schließlich veranschlagen die einheimischen Wanderführern für die vollständige Begehung der Höhenwege Alta Via Nr. 1 und 2 ungefähr 20 bis 25 Tagesetappen. Der veranstaltete Testlauf im Jahr 2009 mit 4 Läufern war der ungefähre Anhaltspunkt für Zwischen- und Zielzeiten, die die endgültige große Zeitspanne der einzelnen Läufer von der Siegerzeit mit 80:27:23 Stunden angefangen bis zum "in-der-letzen-Minute-Finish" mit 149:58:03 Stunden schon erahnen ließ.

 

Zeitlimit 150 Stunden subjektiv –

ich hatte überhaupt keine Ahnung wie lange ich wohl für so eine Monsterstrecke brauchen würde. Erfahrungswerte aus vergangenen Jahren gab es nicht, weil Erstauflage. Wie teile ich mir die Strecke ein? Wann oder wie lange schlafe ich? Es war irrsinnig spannend, weil es eigentlich allen Teilnehmern so ging. Herausfinden mit welchem Minimum am Schlaf das Maximum an Leistung zu schaffen war. Immer mit dem Hintergedanken, dass wenn du schläfst, die Anderen weiter laufen. So genehmigte ich mir im Endeffekt nur 5 Stunden Schlaf in den 4 Nächte, die ich unterwegs war. Vielleicht wäre ich mit mehr Schlaf trotzdem gleich schnell gewesen, da Schlafmangel etwas sehr unangenehmes und Kräfteraubendes ist und bei mir immer wieder zu lustigsten Halluzinationen (auch eine ganz neue Erfahrung) führte. Aber mehr Schlaf ließ der Ehrgeiz nicht zu, obwohl auf Grund der Länge und der familiären Stimmung der Wettkampfgedanke immer wieder ganz in Vergessenheit geriet. Es war wie eine wunderschöne Reise durch das Aostatal im Zeitraffer.

 

7 Basisstationen und 43 Verpflegungsstellen objektiv –

 Fromaggi, Fromaggi, Wurst, Brot, Bouillon, Wasser, Cola, Isotonisches Getränk, Rotwein, Tee, Kaffee, Kekse, trocken Früchte, Orangen, Bananen, Riegel, Nüsse, Pasta, Suppe, Gebäck, Honig. Über die gesamte Strecke verteilt waren 7 "Zwischenzielorte", so genannte "Base Vita", mit Dusch- und Schlafmöglichkeiten, warmen Mahlzeiten und medizinischer Versorgung, die meist in den Gemeindezentren oder Sporthallen untergebracht wurden. Hier wartete auch die persönliche Läufertasche, die per Shuttle immer einen Ort weitergebracht wurde, mit Wechselkleidung, Verpflegung, etc. auf jeden Läufer. Die einzelnen Etappen:

Courmayeur – Valgrisenche                         49 km             3996 D+

Valgrisenche – Cogne                                   56 km             4141 D+

Cogne – Donnas                                           44 km             3348 D+

Donnas – Gressoney St Jean                       53 km             4107 D+

Gressoney St Jean – Valtournenche             39 km             2601 D+

Valtournenche – Ollomont                            44 km             2702 D+

Ollomont – Courmayeur                               48 km             2880 D+

 

 

7 Basisstationen und 43 Verpflegungsstellen subjektiv –

waren für mich hauptsächlich soziale Treffpunkte und immer wieder ein Highlight zwischen den langen einsamen Passagen, da ich fast 4 Tage ganz allein unterwegs war. Durch die Basisstationen habe ich mir die Gesamtdistanz ideal in kleine "Häppchen" geteilt, so dass ich mich von Basisstation zu Basisstation gehangelt habe. Der Kopf verarbeitet halt lieber 7 mal 50 km als 330 km am Stück. Man freut sich über trockene und saubere Kleidung und eine warme Dusche kann Wunder bewirken. Leider waren einige Stationen nicht ganz so ideal gelegen und verlangten dann doch das eine oder andere lange Asphaltstück (was für mich tödlich war) beziehungsweise leichte Umwege. Die Versorgung war eher eintönig und eigentlich der einzige wirkliche Kritikpunkt an der ganzen Veranstaltung. Denn wer will schon 4 –5 Tage lang Käsebrot essen? Wir konnten alle am Ende das Wort Fromaggi nicht mehr hören (als Vegetarier hat man es mal wieder doppelt schwer) und ich träumte unterwegs schon von der einen oder anderen Pizza. Etwas Abwechslung brachten die Basisstationen wo es meist – besser gesagt immer – Pasta gab oder Suppe. Und ich hatte zum Glück den einen oder anderen Leckerbissen in meiner Reisetasche.

 

 

34 Gemeinden mit 1000 freiwilligen Helfern objektiv –

Das ganze Aostatal stand parat!

 

34 Gemeinden mit 1000 freiwilligen Helfern subjektiv -

noch nie habe ich so herzliche Menschen auf einer Laufveranstaltung getroffen. Jeder Einzelne hat sich so gefreut, dass du da warst, hat dich mit einem Lächeln begrüßt und dir seine Hilfe angeboten. Soviel italienische "Mamma-Liebe" ist man gar nicht gewohnt. Kaum in einer Basisstation eingetroffen, schon bringt dir einer deine Tasche, der andere nimmt dir deinen Rucksack ab, zwei möchten gleich wissen was du essen möchtest, der dritte fragt ob du ein Bett brauchst. So gar bis auf `s Klo wurde ich begleitet. Dann freuen sich alle, wenn du hungrig in dich reinschaufelst und schauen dir glücklich beim Essen zu, immer auf dem Sprung noch etwas Nachschub zu besorgen. Zu meiner positiven Überraschung haben fast alle Italiener dort auch Französisch gesprochen, was mir die Zeit unterhaltsamer und natürlich auch einfacher machte.

350 Teilnehmer objektiv –

das Teilnehmerlimit von 500 wurde "zum Glück" nicht erreicht, aber für die erste Auflage waren ganze 350 Läufer am Start und das auch noch sehr international gefächert. Laut Veranstalter waren Läufer aus Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Vereinigte Staaten, Schweiz, Kanada, Deutschland, Finnland, Vereinigtes Königreich, Luxemburg, Portugal, Österreich, Südafrika, Französisch-Guayana und Japan vor Ort.

 

 

350 Teilnehmer subjektiv -

eine illustre Läuferschar, die alle gespannt waren auf die Dinge, die da kommen. Jeder mit unterschiedlichen Erwartungen und Zielen auf der Pastaparty am Vorabend. Und mit ganz anderen unerwarteten Erfahrungen und Erlebnissen bei der Siegerehrung. Wieder einmal wurden viele Freundschaften auf der langen Reise durch das Aostatal geschlossen, denn gemeinsames Leiden und die Freude über das Geschaffte verbindet die Menschen auf eine ganz besondere Art. So trifft man auf viel Hilfsbereitschaft und Unterstützung untereinander was dieser Art von Erlebnisläufen zu einer ganz besonderen Atmosphäre verhilft. Man läuft miteinander und nicht gegeneinander.

 

 

Es ist das erste Mal, dass ich wirkliche Dankbarkeit verspüre, dass ich an einem solchen Riesenprojekt teilnehmen durfte. Diese riesige Kombination aus Freude, Leid, Schmerzen, Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Bergerlebnis war einmalig. Und auch wenn der Körper nach einigen Tagen wieder zu hause im Büro sitzt, so ist der Kopf noch lange nicht angekommen und die Gedanken schwirren immer wieder in die Berge zurück.

Und dabei ist ein weiteres neues Phänomen aufgetreten: ich hatte erst Mal keine Lust mehr zu laufen.

 

 

Alle weiteren Infos unter: www.tordesgeants.it