¡ÁNIMO! – nur Mut! Transgrancanaria 2010

Im Gegensatz zum Straßenlauf, wo Untergrund und Distanz klar definiert sind,  ist der Begriff Trailrun eher schwammig. Hier variieren die persönlichen Vorstellungen von kleinen technischen Pfaden, über Schotterpisten hin zu breiten Forststrassen - mal mit oder ohne Steigung - beträchtlich. Und was für den einen Läufer noch ein genialer Trail ist, ist für den anderen schon eine Zumutung. Oft weiß man im Vorfeld nicht, worauf man sich einlässt und welche  Herausforderungen auf einen warten entlang  der Strecke. Das ist der Reiz eines Trailruns! Nicht immer stimmen einen diese Reize natürlich positiv und man fragt sich vielleicht  doch, warum man 120 km durch das Unterholz krabbelt, wo doch 120 km auf der Strasse auch schon anstrengend genug wären.

 

Aber wer einmal den Sonnenaufgang mitten im Gebirge von Gran Canaria auf schmalen einsamen Bergpfaden erlebt hat, kreuz und quer durch die Kanarischen Wälder gesprungen ist und luftige Höhenwege entlang fetzte  – der ist für immer gefangen in der Trailrunning-Leidenschaft ..... oder kehrt voller Erleichterung zum „sicheren“ Straßenlauf zurück.

So unterschiedlich waren die Emotionen und Eindrücke der Läufer. Lag es daran, dass viele ein anderes Terrain erwartet hatten? Die Schwierigkeit der Strecke doch unterschätzt hatten? Trail halt doch nicht gleich Trail ist? Selbst die schnellsten Läufer gaben im Nachhinein zu, dass sie nicht mit einem so anspruchsvollen Wettkampf gerechnet hatten. Aber was war anders bei diesem Ultratrail?

 

War es der ungewöhnliche Einstieg durch den Wasserkanal von Maspalomas....?

Eigentlich fing es doch ganz harmlos an. Nach dem Startschuss um 24 Uhr am Playa de Inglés ging es auf wunderbar laufbarem Sandstrand in einem großen Stirnlampenpulk Richtung Maspalomas. Raschelnde Trailrunner neben mir, die sich Plastiktüten um die Füße gebunden hatten, um sich wohl vor Sand und Wasser zu schützen. Doch schon beim ersten "großen" Hindernis - eine knietiefe Furt - zogen die ersten ihre Schuhe aus. Zu dem Zeitpunkt wussten wohl die Wenigsten, dass wir die nächsten 2 Stunden eigentlich mehr im Wasser laufen werden als auf trockenem Untergrund.

Das darauf folgende kurze Stück Pflastersteine trog. Die ersten Plastiktüten wurden runter gerissen oder zerfledderten. Dabei ging es doch jetzt erst richtig los. Einmal abgestiegen in den Kanal - leider hatten die Veranstalter in diesem Jahr vergessen das Wasser abzulassen – liefen bzw. rutschten wir im knöchel- bis knietiefem Wasser auf schmierigen Steinen ins Landesinnere. Sehr zur Belustigung der einheimischen Bevölkerung, da alle paar Meter der eine oder andere Läufer zu Fall gebracht wurde. Für mich hatte es große Ähnlichkeit mit meinem Wintertraining auf vereisten Trails, nur dass hier Schuhe mit Saugnäpfen statt Spikes geholfen hätten, um meine 3 Stürze auf den Allerwertesten zu verhindern.

 

War es der Bambus-Schilf- Dschungel  mit nassen Füssen...?

Nach dieser ungewöhnlichen Einlage ging es nach einem kurzen Verschnaufstück gleich weiter mit dem "Wassertreten". Diesmal in Form eines sumpfigen Schilf- und Bambus-Dschungels gespickt mit Obelix-mäßigen Hinkelsteinen. Kleine Personen waren hier klar im Vorteil! Vorwärts ging es fast nur in gebückter Haltung, um sich durch den zugewachsenen Schilfwald zu kämpfen und gleichzeitig von Stein zu Stein zu hüpfen oder über Felsen zu klettern. Sorgen um meine nassen Füße machte ich mir schon lange nicht mehr. Ich war klitschnass bis zu den Hüften, mein Rucksack triefte, aber die nächtlichen Temperaturen waren zum Glück ganz angenehm. Dieses WirrWarr überstanden, kam einem der
darauf folgende Bergtrail hinauf und hinab zur ersten Wasserstelle geradezu einfach vor.

Ist die lange Nacht zu einsam?

Hatte man sich am Anfang noch mit vielen Gleichgesinnten durch den Sumpf gekämpft, wurde es nach der Verpflegungsstelle doch erheblich ruhiger um einen. Vor mir in der Ferne ein paar rote Rücklichter, die einem schon lang vorher ankündigten, dass es mal wieder bergauf ging. Hinter mir ein paar helle Leuchtpunkte, die mir das Gefühl gaben, dass ich doch vorwärts komme. Schade, dass man so viele Kilometer auf schönen Trails läuft, die man nicht wirklich sieht. Die Nacht zog sich. Da Gran Canaria dem Äquator näher ist, ging die Sonne erst gegen 7 Uhr auf - und zwar schlagartig ohne viel Sonnenaufgangszeremonie. Also 7 Stunden in der Dunkelheit. Wer hier an einer vernünftigen Stirnlampe sparte, war selber schuld. Ich jedenfalls war mehr als froh um meine Petzl Ultra! Zwar etwas schwerer aber taghell, so dass  bei dem Gelände und der Wegfindung mir der Spaß garantiert war. Somit bewarte ich dann auch einige Irrläufer vor dem Verlorengehen (obwohl die Beschilderung meiner Meinung nach sehr gut war) und bekam im Gegenzug nette Begleitung. In einer recht flotten sechser Gruppe kommt man gar nicht auf die Idee Müde zu sein, die Zeit vergeht schneller, man verfällt in keinen Trott. So dass unser Timing zum Sonnenaufgang grade zu perfekt war. Rötlich schimmernde Berge, weiter unten der glitzernde Stausee – Kitsch lass nach! Und während ich noch staunte war ich meine Läufergruppe wieder los....

 

Waren es die vielen technischen Trails und der wechselnde Untergrund?
Dass ich wieder allein unterwegs war, machte mir nicht viel aus. Endlich konnte man den Ausblick auf die idyllischen Berglandschaften fernab aller Hotelburgen genießen. Falls man sich die Zeit dazu nahm und nicht nur damit beschäftigt war, sich dem ständig wechselnden Terrain anzupassen.
Die Veranstalter hatten das Wort „Trail“ wirklich ernst genommen und im Zweifelsfall ging es immer den kleineren und schwierigeren Weg entlang.
Wer alle Seiten von Gran Canaria kennen lernen möchte, der sollte hier mitlaufen. Vielseitiger kann man diese Insel in so kurzer Zeit wohl nicht kennen lernen. Vom Sandstrand, durch Wasserkanäle, Matsch, entlose Wälder, über Felsen, Wiesen, Gestrüpp, durch kleine Orte, an Stauseen vorbei, Schluchten querend, Berge erklimmend, über Pipelines balancierend etc. .... ist alles geboten.

War es der „Pico Pozo de las Nieves (1.940 m)“, den man nie sieht?


Irgendwann hatte ich kein Zeitgefühl mehr. Das ständige Auf und Ab, wieder ein Anstieg, ein neuer Ausblick, wieder ein Abstieg, was bedeutet, dass wir danach wieder hinauf müssten. Meine Höhenanzeige war im ständigen Wechsel und wollte einfach nicht über 1.500 m. Aber wo war denn der verdammte Berg? Es fehlten noch 400 Höhenmeter zu meinem Glück, aber es ging schon wieder bergab – kein „Pico de las Nieves“ in Sicht. Dann verlief der Weg endlich senkrecht hinauf, teilweise nur noch mit Seil gesicherte Kletterpassagen, anspruchsvolle Geröllfelder sowie rutschige Vulkanasche. Das musste er sein mein höchster Punkt! Von wegen: ich stand erst auf dem Wahrzeichen von Gran Canaria, dem 1813 Meter hohen „Roque Nublo“. Am Gipfel lag eine einsame Matte zur Zeitnahme. Einmal drüber laufen, auf dem Absatz kehrt machen und wieder runter. Ich komme mir etwas blöd vor. Und noch schlimmer – es ging wieder Bergab. So langsam sank die Motivation, das Fortkommen wurde zäher. Ständig glaubte man schon oben zu sein, nur um dann nach der nächsten Kurve noch ein paar Höhenmeter vorzufinden. Der lang ersehnte Gipfel war dann völlig unspektakulär, auf den sogar eine Strasse führte und hätte meine Uhr mir nicht bestätigt, dass wir oben sind, hätte ich diesen Gipfel gar nicht wahr genommen. Erst bei der folgenden Verpflegungsstelle war ich mir dann sicher, dass wir die meisten Höhenmeter hinter uns hatten. Wie bei den meisten Trailläufen, gibt es auch hier keinerlei Kilometerangaben, so dass man sich eigentlich nur an den Verpflegungsstellen orientieren kann.

War es die Trailtypische Verpflegung?


Wer der Frage, ob man Ultraläufe auch ohne künstliche Riegel und Gels überstehen kann, nachgehen möchte, der ist hier richtig. Alle 20 Kilometer bekommt man entweder nur Wasser aus Militärtanks oder ein bissl Isogetränke (ok das ist künstlich), Nüsse, Trockenobst, Apfelsinen und zum Ende hin belegte Brote und Nudeln. Wer dieser Frage nicht nachgehen möchte, der sollte seine eigenen Riegel und Co. mitbringen. Vor allem kann man bei Kilometer 81 eine Tasche deponieren lassen, um sich für die restlichen 40 Kilometer einzudecken. Es ging nämlich keineswegs einfach weiter bergab, sondern wir behielten das Spielchen „Hoch-Runter-Hoch“ hübsch bei.

War es das trockene unrunde Flussbett am Ende?
Der Ortsname Teror bei Kilometer 100 sprach dann auch nicht gerade für sich, aber hier konnte man sich noch ein letztes Mal stärken, um dann den wirklich "letzten" Anstieg in Angriff zu nehmen. Die vielen weiteren kleinen Anstiege waren wohl auch hier keinen Extrazacken auf dem Höhenprofil wert ...  Aber die folgenden netten Wiesen- und Höhenwege und ein leicht ansteigender Bergtrail machten wieder Lust zum Laufen. Und erst recht der darauf folgende 12 km lange Downhill auf fluffigen Waldwegen, technischen Trails und einigen Ortsdurchquerungen. Wem hier nicht die Oberschenkel brannten, der war irgendwie anders drauf. Unten angekommen wünschte ich mir jedoch tatsächlich zum ersten Mal einen einfachen flachen Forstweg oder Ähnliches, der uns gradewegs aus dem Tal Richtung Las Palmas bringen würde. Nun, das trockene Flussbett, das uns erwartete, war zwar flach, aber dank der vielen großen Steine kaum laufbar. Die Füße meldeten sich. Hier traf ich seit langem mal wieder Gleichgesinnte und viele Läufer der anderen Strecken. Die Meisten bewegten sich eher stolpernd voran und die Moral war etwas im Keller. „Nein ich muss laufen, sonst komme ich ja nie an“. 

Oder doch das nahe – ferne Ziel Las Palmas?
Dahinten liegt Las Palmas, ich konnte es schon eine Weile sehen. Es kann nicht mehr weit sein. Es sieht ganz nah aus! Aber irgendetwas sagte mir, dass der Schein trügt. Die letzte Wasserstelle hatte ich ja noch gar nicht passiert - geschweige denn war sie in Sichtweite. Wie auch, schließlich warteten mal wieder ein paar heftigen steilen Anstiege auf uns. Sind es wirklich nur noch die letzten Kilometer? Also noch ein Anstieg an dessen Ende dieses Mal eine Horde wild winkender Spanier wartete. Zur Abwechslung rufen sie alle "ANIMO"! und nen Haufen weiterer spanischer Anfeuerungsrufe bis sie sehen, dass ich aus Deutschland komme (ist auf Startnummer vermerkt) und sie krampfhaft zu überlegen begannen, ob sie ein deutsches Wort kennen. Leider konnte ich nicht so lange warten, denn die wirklich letzte Verpflegungsstelle war in Sicht und das bedeutete nur noch 5 Kilometer bis ins Ziel... und zwar bergab und zwar auf Asphalt. Für viele waren diese letzten Kilometer die besten der ganzen Strecke - und da trennen sich wieder die Trailrunner von den Straßenläufern...

 

 

Die Route:


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